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Manfred Weber fördert den Sturz von Viktor Orbán

21. Januar 2024 Achgut von Krisztina Koenen

Die Europäische Volkspartei und ihr Vorsitzender Manfred Weber (CSU) fördern in Ungarn einen gefährlichen Demagogen, dessen Programm der Sturz Viktor Orbáns ist. Das erinnert an den Machtwechsel von Kaczynski zu Tusk in Polen.

Bis Anfang vorigen Jahres war Péter Magyar im ungarischen politischen Leben völlig unbekannt. Fidesz-Insider kannten ihn als – eher unangenehmen – Ehemann der damals noch Europa-Spitzenkandidatin, der vorigen Justizministerin Judit Varga. Als solcher wurde er, um Ruhe zu geben, von der Fidesz-Führung großzügig mit lukrativen Scheinjobs alimentiert. Doch Frau Varga ließ sich von ihm scheiden, und sie selbst musste wenig später zusammen mit Staatspräsidentin Katalin Novák im Februar 2024 zurücktreten.

Von Magyar hatte die Fidesz-Führung offenkundig vorher schon genug, denn kurz vor den Rücktritten strich sie ihm all die schönen Alimente. 

Der Grund für die Rücktritte der beiden Frauen war, dass die Staatspräsidentin anlässlich des Papstbesuchs in Ungarn einen Lehrer, der seinen wegen Kindesmissbrauchs verurteilten Schulleiter gedeckt haben soll, nach fast abgesessener Gefängnisstrafe begnadigt hatte – mit Kenntnis und Unterschrift der Justizministerin. Der Fall wurde von den mehrheitlich linken ungarischen Medien aufgegriffen, sofort skandalisiert und gegen die „Kinderschänderpartei“ Fidesz gewendet. Sie riefen zu Kundgebungen aller „Wohlgesinnten“ „zum Schutz unserer Kinder“ auf, Promis und Halbpromis, unter ihnen zwielichtige Gestalten, paradierten als Kinderschützer in den Medien und auf den Straßen. 

In diese Atmosphäre der aufgepeitschten Volkserregung fiel der erste bekannte Auftritt von Péter Magyar, dem Spross eines unter den Kommunisten groß gewordenen Juristenklans, der sich immer schon zu höherem berufen fühlte. Er wandte sich in einer einstündigen Lebensbeichte auf dem linken Youtube-Kanal Partizán an die Öffentlichkeit und zeigte sich zunächst als Fidesz-treuer Konservativer, sorgender Ehemann und Beschützer seiner Frau. (Wir berichteten darüber: hier und hier.) Doch innerhalb von Tagen stellte es sich heraus, dass er ganz andere Dinge im Sinn hatte.

Er begann gegen Fidesz und ganz persönlich gegen Viktor Orbán und Antal Rogán, den Kabinettschef des Ministerpräsidenten, einen persönlichen Rachefeldzug, den er der Öffentlichkeit als politische Befreiungsbewegung verkaufte.

Dieser Auftritt war der Anfang seiner spektakulären Politkarriere, die bis zum heutigen Tag anhält und in den letzten Tagen von 2024 seinen bisherigen Höhepunkt erreicht hat. Da der ungarische Staatspräsident, Tamás Sulyok, 2024 im Staatsfernsehen zu Weihnachten und nicht zum Neuen Jahr eine Rede an die Nation hielt, forderte Magyar zunächst die Fernsehredaktion auf, ihn die Neujahrsansprache halten zu lassen. Dies war selbst für Magyar eine bis dahin beispiellose Anmaßung, zumal er weder über ein politisches Amt noch über eine gesellschaftliche Funktion verfügt, die einen solchen Auftritt hätte begründen können. Das Staatsfernsehen lehnte das absurde Ansinnen ab. Die ihm gegenüber ausgeübte Zensur bitter beklagend, hielt Magyar seine Neujahrsansprache dann auf Facebook ab, wo sich ohnehin sein wahres Reich befindet.

Vertrauen in die Regierung nicht grundsätzlich erschüttert

In diesem in staatsmännischer Pose und vor ebensolcher Kulisse gehaltenen Monolog forderte er sofortige Neuwahlen mit der Begründung, dass die „Orbán Regierung die ungarischen Menschen der Hoffnung auf ein besseres Leben beraubt“ habe. Der Staat funktioniere nicht, die öffentlichen Dienste „zerfielen“ trotz hoher Steuern. Persönlich beschuldigte er Viktor Orbán „die Ungarn der Verwahrlosung preisgegeben, ausgepresst und extrem gespalten“, sowie das Vaterland „nicht besser gemacht, sondern verraten“ zu haben. Ungarn sei das ärmste und korrupteste Land der EU, weshalb das ganze Land der Meinung sei, man habe keine Zeit mehr, es müssten zum denkbar nächsten Zeitpunkt Neuwahlen stattfinden. 

Bald setzte er den Unfug mit einem Schreiben an den Staatspräsidenten fort. Als Grund für die angebliche Staatskrise nannte er wieder einmal die Korruption und den Diebstahl durch die Familie von Viktor Orbán. Weiterer Grund seien die ausbleibenden EU-Zahlungen und die angeblich drei Millionen Ungarn, die deshalb im Elend dahinvegetierten. Und wörtlich: „Wenn die entscheidende Mehrheit der Nation das Vertrauen zur Regierung verloren hat, dann ist es die Pflicht des Staatspräsidenten, sich über vorgezogene Neuwahlen abzustimmen.“ Und mit wem? Keine Frage, mit Péter Magyar.

Natürlich weiß der studierte Jurist Magyar, dass er mit dieser Aufforderung die Außerkraftsetzung der ungarischen Verfassung verlangt.

Das ungarische Parlament kann laut Verfassung nur durch eigene Beschlussfassung aufgelöst werden, oder durch den Staatspräsidenten im Falle eines extremen Notstandes. Dass ein solcher Bestehe, kann Magyar zwar behaupten, aber ein paar Beweise wären schon nötig. Die Fidesz Partei regiert mit einer stabilen Zweidrittelmehrheit. Zwar herrscht viel Unzufriedenheit wegen ausbleibendem Wachstum und hoher Inflation, diese sind jedoch nur zum Teil selbstverschuldet und haben kein katastrophales Ausmaß. Ungarn ist weder das ärmste, noch das korrupteste Land der EU, die Steuern sind mit die niedrigsten in der EU. Bisher ist das Vertrauen in die Regierung nicht grundsätzlich erschüttert: Fidesz hat am 12. Januar die Nachwahlen im Komitat Tolna mit Zweidrittelmehrheit gewonnen, Magyars Tisza-Partei ging – warum auch immer – gar nicht erst an den Start.

Der Skandal als Methode der politischen Auseinandersetzung

Nicht erst mit dem Klamauk der Forderung nach vorgezogenen Neuwahlen betreibt Magyar den kalkulierten, die prozedurale Ordnung bewusst missachtenden Aktionismus. Seine Auftritte – ob öffentlich oder auf seiner FB-Plattform – sind von planmäßigen Grenzüberschreitungen gekennzeichnet. Klug kalkuliert befinden sich diese in einem gesetzlich ungeregelten Graubereich: Er macht Dinge, die gerade noch nicht verboten sind, die man aber als anständiger Mensch und Politiker nicht tut.

Magyar erhob von Anfang an schwerwiegende Beschuldigungen gegen Mitglieder der Regierung und der Fidesz-Partei, ohne sich je um konkrete Beweise bemüht zu haben. Er redet in einer in Ungarn bisher öffentlich nie vernommenen respektlosen und beleidigenden Sprache über Mitglieder der Regierung, insbesondere über Viktor Orbán. Er beschuldigt sie unter anderem der Lüge, des Betrugs, des Verrats, des Diebstals und des Kindesmissbrauchs.

Als neuestes Opfer hat er sich Staatspräsident Tamás Sulyok ausgesucht, den ehemaligen Vorsitzenden des ungarischen Verfassungsgerichts, den er der Vorteilsnahme und Verschwendung öffentlicher Gelder bezichtigt, weil er zur Pariser Olympiade gereist und nicht in einer Jugendherberge übernachtet hat. Das Verlangen, Sulyok möge ihn empfangen, um sich „politisch mit ihm abzustimmen“, widerspricht nicht nur der der Verfassung, die den Präsidenten zu Neutralität und strikter Zurückhaltung verpflichtet, es ist auch ein Ausdruck des Magyarschen Größenwahns, mit dem er sich über Regeln und Hierarchien hinwegsetzt

Im vergangenen Jahr folgte ein skandalöser Auftritt auf den nächsten: Magyar randalierte betrunken in einem Nachtlokal, bedrängte junge Frauen, er machte illegale Tonaufnahmen von privaten Gesprächen sowohl mit seiner geschiedenen Ehefrau als auch mit seiner neuen Freundin, diese wollte er vor Gericht gegen sie und Personen der politischen Führung benutzen. Ohne Genehmigung überfiel er mit Personenschützern und Kamerateams Krankenhäuser und staatliche Kindereinrichtungen, um Enthüllungen auf seiner Facebook-Plattform zu produzieren. Auch hier erhob er pauschale Beschuldigungen gegen Ministerien und Mitarbeiter der Institutionen, ließ seine Personenschützer vor laufender Kamera kritische Journalisten körperlich bedrängen. Er behauptet unentwegt, Opfer von staatlicher Zensur zu sein, obwohl er selbst im staatlichen Fernsehen auftreten konnte, und die überwiegend linken ungarischen Medien und Internetplattformen ohnehin für seine stündliche Präsenz sorgen.

Tisza: eine Partei ohne Mitglieder und ohne Programm

Seine Partei, die Tisztelet és Szabadság (Respekt und Freiheit) Partei, abgekürzt Tisza, benannt nach dem zweitgrößten ungarischen Fluss, hat er praktisch von dessen erfolglosen Begründern gekauft. Damals vor den Europawahlen berief er sich darauf, dass er wegen der Kürze der Zeit sonst nicht hätte an den Wahlen teilnehmen können. Auf der Welle der auf den Begnadigungsskandal folgenden, selbst erzeugten gesellschaftlichen Erregung schwimmend gelang es der Tisza Partei auf Anhieb 30 Prozent der Stimmen zu gewinnen (Fidesz gewann mit 44 Prozent), das heißt, etwa 1,2 Millionen stimmten für ihn. Dieser beachtliche Erfolg gelang Peter Magyar, ohne dass seine Partei eine nennenswerte Mitgliedschaft oder ein Programm hatte.

Dieser Zustand dauert bis zum heutigen Tag an. Die Tisza-Partei hat einen einzigen Programmpunkt, der unter ihren Anhängern zählt: Der Sturz von Fidesz und persönlich von Viktor Orbán und das Versprechen eines Rachefeldzugs.

Alles andere ist sekundär, unbedeutend, deshalb darf die Tisza Partei gar kein Programm haben, denn jede programmatische Festlegung könnte Stimmen und Anhänger kosten.

Das Wenige, was an Programmatik bisher öffentlich wurde, besteht in etwa Folgendem: Alles muss besser werden, die Schulen, die Krankenhäuser, alle öffentlichen Einrichtungen. Alle müssen mehr Geld vom Staat und den Unternehmen bekommen. Magyar meint, Ungarn „könnte auf ein bisschen Souveränität verzichten“, um Geld aus Brüssel zu bekommen, was mit ihm auf jeden Fall geschehen werde. Zum Beispiel könnte Ungarn die Ukraine unterstützen (wie die Tisza-Parlamentarier in Brüssel, die sich brav Ukraine-Shirts übergezogen haben, als die Europäische Volkspartei das seinen Mitgliedern verordnete), und sich der Willkür der EU-Staatsanwaltschaft unterwerfen. 

Magyars beste Freunde sind in Brüssel

Die Europäische Volkspartei und insbesondere deren Vorsitzender, Manfred Weber (CSU), gehört zu den wichtigsten Unterstützern von Peter Magyar.

Weber (und offensichtlich die EU-Führung) sieht in Magyar den zukünftigen ungarischen Ministerpräsidenten, dem sie den vorzeitigen Sturz Orbáns nicht nur zutrauen, sie ermutigen ihn dazu auch.

Im Sommer besuchte Weber Magyar in Budapest und für die Medien posierte er mit ihm vor großer Kulisse. In seiner Rede vor dem Europäischen Parlament im November 2024 lobte er Magyar ausdrücklich, weil er dem Beispiel des Polen Donald Tusk folge, der den konservativen Kaczinski verjagt habe. So kämpfe auch Magyar, sagte Weber, gegen Viktor Orbán und für „europäische Werte und den Rechtsstaat“. Weber sorgt auch dafür, dass im Europäischen Parlament die Immunität von Magyar nicht aufgehoben wird, obwohl gegen ihn wegen betrunkenem Randalierens und Diebstahls ein Gerichtsverfahren ansteht.

Wie stark die Unterstützung Magyars in der ungarischen Gesellschaft ist, kann man schwer einschätzen. Auf die Ergebnisse der Meinungsforschungsinstitute ist kein Verlass. Sie sind ausnahmslos parteiisch und arbeiten im Auftrag interessierter Parteien, das politische Ziel wird der technischen Disziplin des Handwerks übergeordnet. Magyar ebenso wie Fidesz nutzen ihre „Ergebnisse“ mehr zur Ermutigung der eigenen Klientel als zur Wahrheitsfindung. Wo Magyar eine überwältigende Anhängerschaft hat, ist Facebook. Kaum ist ein Post von ihm erschienen (es sind mindestens 10 bis 15 pro Tag, meistens mit männlich akzentuierten Photoshop-Portraits zum Verlieben) stehen innerhalb von Sekunden je nachdem zehn-, zwanzig- oder dreißigtausend likes darunter, die meisten von Frauen. 

Ebenso unbekannt ist, wie viele Mitglieder die Tisza Partei hat. Wir wissen nicht, ob Ortsgruppen existieren, und wenn ja, wie viele. Zuletzt erklärte Magyar in einem Fernsehinterview des Senders ATV, dass es mehrere Zehntausend Parteimitglieder gebe, die mit mehreren Tausend Fachleuten zusammenarbeiteten. 65 Arbeitsgruppen würden Materialien vorbereiten für verschiedene Szenarien, für verschiedene weltpolitische Situationen. 

Ob das stimmt, ist nicht festzustellen, denn gesehen hat sie noch niemand. Die Tisza Partei ist weitestgehend eine one man show, was sicherlich auch dem schwierigen Charakter des extrem reizbaren und unduldsamen Vorsitzenden zuzuschreiben ist. Der Parteichef verachtet nicht nur seine Gegner, sondern auch seine Unterstützer und Vertreter seiner Partei. Die frisch gewählten (und selbst ausgesuchten) EU-Abgeordneten seiner Partei nannte er „hirntot“ und befahl ihnen, niemals mit den Medien zu sprechen. Über die Teilnehmer einer von ihm veranstalteten Kundgebung fühlte er sich angewidert, weil sie „stinken und aus dem Maul riechen“. 

Magyar und die Tisza Partei sind nicht die Opposition, die Ungarn braucht

Die Regierende Fidesz Partei ist am Aufstieg dieses von Rachegelüsten getriebenen Demagogen nicht unschuldig. Die Seilschaften, der Nepotismus, die unstatthafte Bereicherung von Fidesz-Führern und ihnen nahestehenden Personen ist real. Orbán des Raubs am Volksvermögen zu beschuldigen, weil er nach einem ungeheuer belastenden Jahr drei Wochen Urlaub in Indien macht, ist zwar Demagogie, aber in Zeiten, in denen durch die Inflation die meisten Ungarn an Wohlstand verloren haben, lässt sich vor diesem Hintergrund Empörung selbst über das Statthafte leicht anstacheln. 

Das Problem von Fidesz ist, dass sie gegen die Seilschaften und die damit verbundene Korruption nicht radikal vorgehen kann und will, weil die der Schlüssel zu ihrem Wahlerfolg sind.

Die über das Netzwerk gewährten Vorteile hält Fidesz die Anhänger zusammen und bei der Stange. Auch das an und für sich richtige Programm zur Entwicklung einer starken nationalen Industrie ist eine Brutstätte von Korruption, ebenso wie die Tatsache, dass Fidesz seit 2010 praktisch ohne eine ernstzunehmende Opposition regiert. Aber trotz alledem wäre es möglich, gegen die eklatantesten Auswüchse vorzugehen, und Orbán hätte längst innerhalb seiner Familie und seinen engen Mitarbeitern ein Machtwort sprechen können. 

Fidesz und die Regierung waren bisher ungewöhnlich duldsam mit Magyar, lange Zeit schaute man taten- und sogar kommentarlos seinem Treiben zu. Selbst als der Überraschungs-Effekt vorbei war, kam kein energischer Widerspruch, und selbst in Fällen, in denen man strafrechtlich hätte vorgehen können, tat man es nur der Form halber.

Warum das so ist, kann man als Außenstehender nur vermuten. Es sind die ständigen Behauptungen der EU-Führung und der Biden-Regierung, Ungarn sei eine Autokratie, die Orbán und Fidesz daran hindern, energischer gegen diesen Unfug vorzugehen.

Lieber lassen sie die Magyarschen Respektlosigkeiten durchgehen, als einen möglichen Grund für die Behauptung zu liefern, Orbán würde die Opposition unterdrücken und sei deshalb ein Autokrat.

Damit aber vergrößern sie ungewollt den Schaden, den Magyar mit seinem Klamauk an den angestammten Sitten und Institutionen anrichtet. Eine Ausnahme ist Staatspräsident Tamás Sulyok, der mit der ganzen Würde seines Amtes die Magyarschen Anmaßungen zurückgewiesen hat. Er reagierte in aller Schärfe – blieb damit jedoch weitgehend allein. 

Fidesz hat also weiterhin keine ernsthafte und fähige Opposition, die sie zwingen könnte, Fehler zu korrigieren und zu vermeiden. Péter Magyar hat die alte Opposition zwar abgelöst, aber er ist weit davon entfernt, diese Aufgabe zu erfüllen. Es ist ein Albtraum auch nur daran zu denken, was passierte, wenn er die Führung des Landes in die Hände bekäme.

Krisztina Koenen war Redakteurin des FAZ-Magazins und der Wirtschaftswoche. Danach wechselte sie in die Unternehmenskommunikation. Sie ist Autorin mehrerer Bücher.

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